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Pubertät und Psyche in Zeiten von Pandemie und Krieg

Gesundheit

Ob Pandemie oder die Bilder dieses furchtbaren Krieges – grundsätzlich ist es ganz wichtig, dass die Familien ins Gespräch kommen und auch über Ängste und Unsicherheiten sprechen, raten die Chefärzte der Kinder- und Jugendpsychiatrie Dr. Marc Dupont und Dr. Frank Forstreuter.

Sport fiel aus. Clubs waren geschlossen. Feiern verboten und die Schulen zeitweise zu. Für Kinder und Jugendliche legten die vergangenen Pandemiejahre die ganze Tages- und Freizeitstruktur lahm. Hinzu kommen wechselnde Regeln und ein sehr unterschiedlicher Umgang damit. Wenn die Clubs wieder öffnen, gehe ich sofort hin? Trage ich noch eine Maske? Was mache ich, wenn ich der einzige bin und die Kumpels das uncool finden? Fragen wie diese beschäftigen die Jugendlichen, und das in der ohnehin schwierigen Zeit der Pubertät. Erste Liebesbeziehungen, Schulabschluss und die berufliche Zukunft. Und als ob das nicht schon mehr als genug wäre, kommen aktuell auch noch die verstörenden Meldungen des Krieges in der Ukraine hinzu. „Gerade in der Pubertät steht plötzlich ohnehin alles infrage und die Verunsicherung ist groß. Wenn dann auch noch die gewohnten Strukturen wegbrechen, steigt die innere Spannung noch weiter an“, erklärt Dr. Marc Dupont, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik am Klinikum Bremen-Ost. Auch wenn die Jugendlichen eigene Strategien entwickelt und sich als sehr anpassungsfähig gezeigt hätten, so hätten sie doch sehr unter den Einschränkungen gelitten.

 

„Oft verschwinden diese Symptome nach einer Zeit wieder, aber man sollte sie sehr genau im Auge behalten“

Die klinischen Folgen sehen Marc Dupont und sein Kollege Frank Forstreuter in der Ambulanz der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Die bekommt noch immer vermehrt Zulauf von Heranwachsenden, die mit Angst-, Zwangs- und Essstörungen oder auch Depressionen zu kämpfen haben. Es gebe Jugendliche, die sich immer weiter zurückzögen und kaum noch das Haus verließen oder mit Zwangsstörungen wie übermäßigem Händewaschen reagierten. Dies sei, so paradox es klingen mag, ein Versuch, die Kontrolle wiederzugewinnen, erklärt Dupont. „Oft verschwinden diese Symptome nach einer Zeit wieder, aber man sollte sie sehr genau im Auge behalten“, so der Kinder- und Jugendpsychiater. Wenn die Eltern solche Auffälligkeiten bemerkten, seien die niedergelassenen Kinder- und Jugendärzte immer die ersten Ansprechpartner. „Sie können mit viel Erfahrung und Augenmaß einschätzen, wie hoch die seelischen Belastungen sind“, so Dupont.

Beide Chefärzte betonen ausdrücklich, dass die Pandemie selbst kein Auslöser für psychische Erkrankungen sei, aber durchaus ein letzter Tropfen sein könnte, der das Fass dann zum Überlaufen brächte, also eine bereits bestehende seelische Belastung noch einmal verstärke. Diese Zuspitzung sehen die Kinder- und Jugendpsychiater auch in ihrer Klinik. „Es gibt eine Reihe von Patientinnen und Patienten, bei denen sich die Symptome ihrer Erkrankung verstärkt haben“, so Frank Forstreuter. Natürlich sei Corona noch immer täglich Thema auf den Stationen, in den Therapien, auch wenn die Situation nicht mehr so existenziell bedrohlich sei. Außerdem sei der Kontakt zu den Angehörigen seit Beginn der Pandemie noch einmal intensiviert worden, um immer genau über mögliche Infektionen oder Kontaktpersonen informiert zu sein. „Wichtig ist ein intensiver Austausch mit unseren Patientinnen und Patienten, Angehörigen und natürlich innerhalb unseres Teams“, sagt Dupont. Und diesen intensiven Austausch rät er auch allen Familien. „Ob Pandemie oder die Bilder dieses furchtbaren Krieges – grundsätzlich ist es ganz wichtig, dass die Familien ins Gespräch kommen, über die Situation, die alltäglichen Belastungen und auch über die Ängste und Unsicherheiten.“ Da sollten auch die Erwachsenen offen sein und mit den Kindern gemeinsam Strategien entwickeln. Aber noch etwas ist Dupont und Forstreuter ganz wichtig in diesen Tagen: „Man sollte das Smartphone, den Rechner und die sozialen Medien nicht verteufeln“, raten beide.

Medien nicht verteufeln“, raten beide. Natürlich müsse man auch hier klare Regeln aufstellen und im Gespräch bleiben, womit sich die Heranwachsenden beschäftigen, was sie sich ansähen und wie viel Zeit das einnehme, aber man dürfe nicht vergessen, dass diese Medien für Jugendliche zum Austausch auch sehr wichtig seien. „Gerade in den Zeiten des Lockdowns war das oft die einzige Möglichkeit, in Kontakt zu bleiben“, sagt Dupont. Und auch wenn diese Zeiten hoffentlich vorbei sind – wegzudenken sind diese Medien aus dem Alltag nicht. Man müsse also lernen, den richtigen Umgang damit zu finden.


Spezielles Therapieangebot für Heranwachsende

Der Übergang ins Erwachsenenalter kann manchmal besonders belastend sein. Jugendliche durchleben erste Partnerschaften und Trennungen, stehen unter Leistungsdruck oder vor offenen Zukunftsfragen. Einige brechen Schule oder Ausbildung ab, ziehen sich von Eltern und Freunden zurück, greifen zu Suchtmitteln. Gerade in solchen Belastungssituationen können psychische Erkrankungen auftreten und erstmals offen zutage treten oder sich verfestigen. Manchmal ist dann eine stationäre Behandlung sinnvoll. Im Klinikum Bremen-Ost ist seit dem vergangenen Jahr Bremens erste psychiatrisch-psychotherapeutische Station eigens für diese Heranwachsenden zwischen 16 und 23 Jahren eröffnet worden. Die Adoleszentenstation – Station für Jugendliche und junge Erwachsene ist ein Kooperationsprojekt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik, der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie und der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Emotionale, depressive, ängstliche oder beginnende psychotische Erkrankungen, aber auch Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion und in der Persönlichkeitsentwicklung, die den Übergang in die Selbstständigkeit und in das Erwachsenenleben erschweren, können auf der neuen Station genauer diagnostisch abgeklärt und behandelt werden.

Dafür stehen zehn Behandlungsplätze in einem eigenen Gebäude zur Verfügung. Die Behandlung setzt vor allem auf Psychotherapie. Hinzu kommen alltagspraktische Inhalte, Spezialtherapien wie Ergo-, Bewegungs- und Musiktherapie, aber auch die Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen der psychosozialen Versorgung und eine berufsvorbereitende Begleitung. Dazu ist sowohl die Klinikschule als auch die Arbeitstherapie mit im Boot. So können neben schulischen Inhalten auch praktische berufliche Tätigkeiten erlernt und begleitete externe Praktika vermittelt werden. Die Station wird von der leitenden Psychologin der Kinder- und Jugendpsychiatrie, Anett Schider, geführt. Sie hat sich gemeinsam mit den Leitungen aus dem Bereich der Erwachsenen- sowie der Kinder- und Jugendpsychiatrie für die Entwicklung der Station eingesetzt. „Ziel ist es, einen Raum für Patienten zu haben, die für die stark familienorientierte Therapie der Kinder- und Jugendpsychiatrie oft schon zu erwachsen sind, denen für eine Behandlung in der Erwachsenentherapie aber wiederum noch die Reife und Selbstständigkeit fehlen“, sagt sie. Im Fokus stehe die Unterstützung der jungen Menschen

auf dem Weg ihrer Identitätsfindung und Autonomieentwicklung. Auf dieser Station könne man die Therapieangebote aller Kliniken zusammenbringen und passgenau auf diese Patientengruppe ausrichten. Ein solches Angebot habe bisher in Bremen und Umgebung gefehlt, der Bedarf sei aber groß. Ein weiteres wichtiges Ziel dieser Station ist die Prävention. „Wenn es uns hier gelingt, die Entwicklung der jungen Menschen positiv zu beeinflussen und ihnen das Rüstzeug für den Weg in ein gesundes Erwachsenenleben mitzugeben, sinkt auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich psychische Erkrankungen verfestigen“, sagt Nadine Jensen, Klinikpflegleiterin der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Einzige Voraussetzung für eine Behandlung sei, dass die Heranwachsenden therapiemotiviert seien und die Angebote freiwillig annehmen könnten. Die Aufnahme erfolgt dementsprechend geplant über eine Warteliste. Anmelden kann man sich bis zur Volljährigkeit über die Institutsambulanz der Kinder- und Jugendpsychiatrie, danach über die Klinik für Psychosomatische Medizin.


Adoleszentenstation – Station für Jugendliche und junge Erwachsene im Klinikum Bremen-Ost

Institutsambulanz der Kinder- und Jugendpsychiatrie
Telefon 0421-408-2677

Klinik für Psychosomatische Medizin
Telefon 0421-408-1202

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