Häufig liest man von neuen Hoffnungen im Kampf gegen viele Krebsarten. Sind diese Hoffnungen berechtigt?
Prof. Dr. Bernd Hertenstein: Ja. Auf jeden Fall. Wir können heute sehr viel genauer diagnostizieren und den Betroffenen viel passgenauere Therapien anbieten. Da hat sich in den letzten 20 Jahren ungeheuer viel entwickelt. Inzwischen wird fast die Hälfte aller erwachsenen Krebspatienten geheilt, bei Kindern sind es sogar vier von fünf.
Dr. Matthias Bormann: Diese enormen Fortschritte haben auch wir als Fachärzte so tatsächlich nicht vorausgesehen. Krebstherapie bedeutete vor 15 bis 20 Jahren in den meisten Fällen ein standardisiertes Verfahren aus Tumorentfernung, Bestrahlung und/oder Chemotherapie. Alle wurden notgedrungen ähnlich behandelt, für viele gab es keine Überlebenschance. Heute können wir beispielsweise das Erbmaterial von Krebszellen entschlüsseln und diese oft punktgenau bekämpfen. Wir können im Labor hergestellte Antikörper einsetzen, Zellen daran hindern, sich weiter zu vermehren, chirurgische Eingriffe viel genauer und schonender durchführen. Krebserkrankungen, die früher ein Todesurteil waren, können wir mitunter so weit behandeln, dass sie zu chronischen Erkrankungen werden, mit denen die Betroffenen bei guter Lebensqualität alt werden können. Aber dennoch – allen können wir noch nicht oder noch nicht dauerhaft helfen und es gibt vieles, was wir noch nicht wissen.

"Der Kampf gegen den Krebs kann nur im Team gelingen"
Im Kampf gegen den Krebs hat es in den vergangenen Jahren große Fortschritte gegeben. Diagnosen werden immer genauer, Therapien immer individueller. Wie hat sich die Krebsbehandlung verändert und was macht sie heute aus? Antworten zum Weltkrebstag.

Worauf gründen sich die Fortschritte in der Krebstherapie vor allem?
Dr. Matthias Bormann: Die neuen Therapieansätze sind überhaupt nur möglich, weil die Forschung immer mehr über die Entstehung der Krebserkrankung herausfindet. Der Beginn ist immer eine Veränderung im Erbmaterial, die bei der Zellteilung entsteht. Beim Kopieren kommt es zu Fehlern, die oft nicht weiter schlimm sind oder die von der körpereigenen Abwehr sofort erkannt und abgetötet werden. Die Immunzellen erkennen dabei bestimmte Proteine auf der Oberfläche der Krebszellen und zerstören diese. Aber nicht immer klappt das, beispielsweise wenn das Immunsystem geschwächt ist oder aber die Krebszellen Gegenstrategien entwickeln und sich zum Beispiel an Immunzellen hängen und die sogenannten Checkpoints lahmlegen, die für ihre Zerstörung sorgen könnten. Solche Erkenntnisse haben zu bahnbrechenden neuen Möglichkeiten im Kampf gegen den Krebs geführt.
Wie sieht eine gute Krebstherapie heute aus?
Prof. Dr. Bernd Hertenstein: Eine gute Therapie basiert zunächst immer auf einer umfangreichen detaillierten Diagnose, dem sogenannten Staging. Mit aktuellen Bildgebungsverfahren sowie Ultraschall, CT, MRT und Röntgen und dem PET, einer Computertomografie, die nach der Gabe radioaktiver Substanzen farbige Bilder des Tumorbefalls liefert, können wir genau feststellen, wo die Tumoren sind und wie sie aussehen. Dann bestimmen wir entnommenes Tumorgewebe in weiteren Untersuchungen, können das Erbgut entschlüsseln und gucken damit in die Krebszellen hinein. An Diagnose und Therapieplanung ist im Onkologischen Zentrum ein ganzes Team aus Radiologen, Nuklearmedizinern, Molekularbiologen, Pathologen und Fachärzten beteiligt. Je genauer die Diagnose, desto besser die Therapie. Wenn alle Informationen vorliegen, erarbeiten wir gemeinsam einen individuellen Therapievorschlag und stimmen diesen detailliert mit dem Patienten ab. Der Kampf gegen den Krebs kann nur im Team gelingen.
Dr. Matthias Bormann: Die gute Nachricht, dass es so viele verschiedene Therapien gegen Krebs gibt und ständig neue hinzukommen, bedeutet für das Behandlungsteam auf der anderen Seite auch, dass es immer auf dem aktuellen Stand der Forschung sein und gleichzeitig viel Erfahrung haben muss. Wir tragen die Verantwortung dafür, für jede und jeden die richtige Therapie aus einem riesigen Spektrum an Möglichkeiten zu finden. Dazu gehören gute Netzwerke, ein umfassender wissenschaftlicher Austausch und die Teilnahme an klinischen Studien. Und jede Therapie hat auch Nebenwirkungen. Die sind manchmal erheblich, betreffen viele unterschiedliche Organe und müssen gut medizinisch begleitet werden. Auch das gehört zu den Herausforderungen der modernen Krebstherapien.

Gehört das zu den Vorteilen, die ein zertifiziertes Onkologisches Zentrum bietet?
Prof. Dr. Bernd Hertenstein: Ganz genau. Nur ein zertifiziertes Onkologisches Zentrum kann diese Möglichkeiten überhaupt bieten, hat die nötigen Ressourcen und die nötige Erfahrung. Jede Krebserkrankung ist anders. Man muss immer wachsam sein, Zweifel zulassen, sich austauschen, über die Fachgrenzen hinweg zusammenarbeiten und bereit sein, Eitelkeiten zu überwinden und gemeinsam zu lernen. Wir behandeln hier im Jahr 2.400 Krebspatienten. Wir lassen Patienten an Studien teilnehmen und bilden deutschlandweite Netzwerke. Ein Beispiel ist unsere Kooperation mit dem Universitätsklinikum Göttingen, deren Molekularbiologen für uns bestimmte, sehr aufwendige Untersuchungen vornehmen können. Studien haben gezeigt: Wer sich in einem spezialisierten Zentrum behandeln lässt, überlebt nachweislich länger.
Wie funktioniert das Onkologische Zentrum?
Prof. Dr. Bernd Hertenstein: Die Basis des Onkologischen Zentrums ist das gemeinsame fachübergreifende Tumorboard, eine regelmäßig stattfindende erenz, in der alle Fachleute zusammensitzen und sich über jeden Fall austauschen. Wir haben mit der Gesundheit Nord den Vorteil, alle Fachdisziplinen im Verbund zu haben, die Dienstwege sind kurz. Wir können die Patienten von der Diagnose bis zur ambulanten Nachsorge begleiten, ihnen neben der medizinischen auch psychologische und therapeutische Angebote machen, wir haben beispielsweise speziell ausgebildete onkologische Fachberaterinnen, die den Betroffenen im Alltag zur Seite stehen, ausgebildete Schmerzexperten und Psychoonkologen und auch eine Klinik für Palliativmedizin am Klinikum Links der Weser. Zudem halten wir Labore vor, eine große Apotheke und eine eigene Zytostase, in der die Chemotherapien individuell hergestellt werden.
Dr. Matthias Bormann: Außerdem bieten wir ein umfassendes Aus-, Fort- und Weiterbildungsprogramm an, um Pflege und Medizin ständig weiter zu schulen oder junge Kolleginnen und Kollegen gut und intensiv auszubilden. Was raten Sie Betroffenen, die eine Krebsdiagnose bekommen haben? Prof. Dr. Bernd Hertenstein: Eine Krebsdiagnose zieht einem immer den Boden unter den Füßen weg und bedeutet für die Betroffenen und die Angehörigen immer eine absolute Krisensituation. Da einen klaren Kopf zu bewahren, sich zu informieren und umzuschauen, ist sehr leicht gesagt, kann aber zunächst kaum gelingen. Ganz hervorragende Angebote macht die Deutsche bzw. die Bremer Krebsgesellschaft. An die kann man sich immer wenden. Und dann empfehle ich natürlich, sich in einem von der Krebsgesellschaft zertifizierten Zentrum behandeln zu lassen. Dr. Matthias Bormann: Und noch eine Bitte an alle Leserinnen und Leser: Bitte nehmen Sie alle empfohlenen Vorsorgeuntersuchungen unbedingt in Anspruch. Je früher ein Krebs erkannt wird, desto besser sind unsere Chancen, ihn zu besiegen.
Das Interview ist Teil der 20. Ausgabe unsereres Patientenmagazins gesund mal 4. Im Titelthema geht es darin auf 14 Seiten um die Onkologie samt Zahlen, Patientengeschichte und einem Überblick über die verschiedenen Organkrebszentren und wie sie zusammenarbeiten. Das gedruckte Heft finden Sie kostenlos in Apotheken, Arztpraxen und Geschäften in Bremen und umzu. Außerdem können Sie es hier direkt online lesen.
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