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Die Tücke mit den guten Vorsätzen

Gesundheit

Neues Jahr, neues Glück: Viele Menschen fassen zu Silvester den Vorsatz, etwas in ihrem Leben zu ändern. Gesünder leben, abnehmen, nicht mehr Rauchen, beruflich nochmal durchstarten – woher kommt der Drang, mit guten Vorsätzen in den Januar zu starten? Und warum scheitern wir so häufig daran?

GeNoMagazin: Der Jahreswechsel ist traditionell die Zeit der guten Vorsätze. Gesünder leben, abnehmen, nicht mehr Rauchen, beruflich nochmal durchstarten – woher kommt der Drang, mit guten Vorsätzen in den Januar zu starten? Und warum scheitern wir damit so oft?
Dr. Dr. Bagus:
Der Jahreswechsel ist immer eine gewisse Zäsur. Ein Jahr geht zu Ende, ein neues beginnt, viele von uns haben ein paar Tage frei. Bei vielen Menschen ist Silvester deshalb ein Datum, an dem sie darüber nachdenken, was sie eigentlich tun müssten oder wollten – sich mehr bewegen, alte Freundschaften pflegen, eine größere Wohnung suchen oder gesünder essen zum Beispiel. Dabei muss man aber unterscheiden: Geht es um einen Veränderungswunsch, der mich wirklich emotional tief berührt? Oder bediene ich mit meinem Vorsatz nur ein gesellschaftliches Klischee?

Was meinen Sie damit?
Vereinfacht gesagt: Nehme ich mir vor, gesünder zu essen, auf Fleisch zu verzichten oder abzunehmen, nur weil es zum guten Ton gehört – dann scheitern solche Vorhaben, weil sie mich nicht wirklich emotional berühren. Etwas anderes ist es, wenn der Veränderungswunsch emotional gut verankert ist und ich überzeugt bin, dass ich mich dann besser fühle. Aber auch in diesen Fällen gilt: Es ist schwer, Veränderungen in unserem Verhalten dauerhaft umzusetzen, weil wir in unseren erlernten Verhaltensmustern gefangen sind. Oder weil bei tiefgreifenden Veränderungswünschen unser Selbstbild eine solche Veränderung vor dem Hintergrund unserer Biografie nicht zulässt.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Ich erlebe oft Patienten, die sich endlich eine gelingende Beziehung zu ihrem Partner oder ihren Kindern wünschen. Damit ist eine tiefe emotionale Ebene berührt. Dennoch kann es sein, dass die sozialen Erfahrungen, die ein Mensch gemacht hat, seine Prägungen und seine Persönlichkeitsstruktur die Umsetzung dieses Wunsches kaum möglich machen – weil ihm beispielsweise immer vermittelt wurde, dass er nicht liebenswert ist und er tief in seinem Innern zweifelt, ob er überhaupt glücklich sein darf. Er ist in seinem Selbstbild gefangen und schafft es aus eigener Kraft nicht, die gewünschte Veränderung umzusetzen.

Und wie ist es bei Menschen, bei denen es weniger starke Gefühls-Gegensätze gibt?
Auch für diejenigen, bei denen keine inneren Ambivalenzen bestehen, kann es schwierig sein, aus Gewohnheitsmustern auszubrechen. Wenn ich beispielsweise mehr Zeit mit meinen Kindern verbringen möchte, mir aber angewöhnt habe, lange im Büro zu bleiben und dem Job einen hohen Stellenwert einzuräumen, ist es schwierig, diesen Vorsatz in die Tat umzusetzen.

Wie kann man das Risiko, dass man scheitert, schmälern?
Es gibt verhaltenstherapeutische Techniken, die uns dabei helfen können, aus diesen Mustern auszubrechen und die selbstgesteckten Ziele zu erreichen. Zum Beispiel, indem ich mir nur realistische Ziele setze und in kleinen Schritten vorgehe – und die Erfolge, auch kleine, dann auch wahrnehme. Ich kann mich belohnen, wenn ich etwas geschafft habe, und ich sollte mir Unterstützungssysteme schaffen.

Was kann ich mir darunter vorstellen? Wie könnte ein solches Unterstützungssystem oder eine Belohnung aussehen?
Ich nenne Ihnen mal zwei Beispiele: wenn Sie sich vornehmen, sich im neuen Jahr mehr Zeit für die Familie zu nehmen, ist das erst einmal schwer greifbar. Dann hilft es, sich mit der Familie zusammen zu setzen und zu besprechen, wie es gehen könnte. Damit schaffen Sie auch gleich ein Kontrollgremium. Ein realistisches Ziel könnte sein: Wir machen jetzt einmal im Monat einen gemeinsamen Spieleabend. Das sollten die anderen Familienmitglieder dann auch einfordern. Und jedes Mal, wenn es klappt, können Sie sich gemeinsam über den Erfolg freuen. Ein anderes Beispiel: wenn Sie mit dem Rauchen aufhören, stellen Sie eine Spardose auf und stecken dort das Geld für jede nicht gekaufte Packung Zigaretten hinein. Nach einer Zeit können Sie sich dafür dann etwas kaufen, was Ihnen Freude macht.

Welchen Rat geben Sie Menschen, die ohne Frust ins neue Jahr starten wollen?
Wichtig ist, dass Sie den Frust nicht vorprogrammieren und letztlich unrealistische Vorsätze anhäufen. Besser ist es, in sich hineinzuhorchen und sich zu fragen: Was ist mir wirklich wichtig? Welche Wünsche sind es wert, dass ich sie ernsthaft verfolge? Was würde mir wirklich Freude bereiten? Woran würde ich konkret merken, dass sich etwas in die gewünschte Richtung verändert hat? Unterstützung von außen ist dabei oft hilfreich. Wenn ich beispielsweise mehr Sport machen möchte, sollte ich mir Gleichgesinnte suchen oder in den Sportverein eintreten, mir also eine Art soziales Netz zur Unterstützung schaffen. Einfache konkrete Schritte mit klaren Etappenzielen funktionieren am besten und ersparen uns die Frustration, dass es wieder nicht geklappt hat mit den guten Vorsätzen.

Stichwort Frustration: Wie können wir überhaupt optimistisch ins neue Jahr gehen? Erst die Pandemie, dann der Beginn des Ukraine-Krieges, jetzt auch noch der Nahostkonflikt – man gewinnt den Eindruck, dass die allgemeine Stimmung schlecht ist und viele nur noch auf sich schauen.
Ja, das ist auch mein Eindruck. Viele Menschen sind bedrückt, fühlen sich überfordert und unzufrieden. Wir sehen in unserer Arbeit zunehmend junge Leute, die Richtung und Halt verloren haben, die die großen gesellschaftlichen Unsicherheiten unserer Zeit nur schwer aushalten und schneller aufgeben als früher – obwohl es uns wirtschaftlich viel besser geht als früheren Generationen und viele Entwicklungschancen gegeben sind. Dazu tragen auch die sozialen Medien leider viel bei. Vielen Menschen fällt es zunehmend schwer zu filtern, was wichtig und hilfreich und was unwichtig, unwahr und schädlich ist.

Die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen werden sich vermutlich nicht so schnell ändern. Gibt es trotzdem eine Perspektive, wie diese Entwicklung aufgehalten werden könnte?
Wir brauchen wieder mehr Vertrauen in die Gemeinschaft. Etwas gemeinsam zu schaffen setzt unglaubliche Kräfte frei. Dies gilt für den privaten und ebenso für den beruflichen Bereich. Deshalb ist es gut, etwas mit anderen zu unternehmen, zu entwickeln, gemeinsam Verantwortung und Solidarität zu erleben, sich nicht nur in der digitalen Welt zu bewegen. Sich zu begegnen und allen Sinnen Raum zu geben – in der Natur zu sein, schöne Musik zu hören oder kulturelle Angebote wahrzunehmen und das richtige Maß an Bewegung einzuhalten. Das klingt insgesamt banal, aber das sind die Basics, die nötig sind, um die eigenen Wünsche und Bedürfnisse wahrnehmen zu können, sich nicht zu verlieren, sondern mit Mut und Zuversicht in das neue Jahr zu gehen.

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