Gesundheit Nord Klinikverbund Bremen

„Wir haben viele Menschen vor dem sicheren Tod bewahrt“

Schichtwechsel

23 Jahre lang ist Prof. Michael Paul Hahn Chefarzt der Unfallchirurgie in Bremen-Mitte gewesen, nun geht er in den Ruhestand. In unserem Interview blickt er zurück auf den Start der Traumazentren und prominente Patienten. Außerdem verrät er, was sein Beginn in Bremen mit den Stadtmusikanten zu tun hatte.

Herr Prof. Hahn, wie haben sich die letzten Tage als Chefarzt nach so langer Zeit im Klinikum Bremen-Mitte für Sie angefühlt?
Ich gehe sicherlich mit einem weinenden aber auch mit einem lachenden Auge. Ich war ja 23 Jahre hier im KBM tätig, und das finde ich schon eine lange Zeit, aus meiner Sicht eigentlich ja sogar eine ganze Epoche. Insgesamt war ich 40 Jahre chirurgisch tätig. Da blickt man auf eine tolle Zeit zurück.

Wo haben Sie Ihre Laufbahn begonnen?
In Hannover. Dort habe ich nach dem Studium an der medizinischen Hochschule als Assistenzarzt begonnen – in der Allgemein- und Viszeralchirurgie. Ich hatte zu Beginn meiner Laufbahn also viel mehr mit Bäuchen zu tun als mit Unfällen. Im Rahmen der Rotation war ich dort zudem auch in der Kinderchirurgie und ein Jahr lang in der Herz-, Thorax, und Gefäßchirurgie. Insofern habe ich wirklich eine breite Basisausbildung gehabt.

Wann hat Sie die Unfallchirurgie gepackt?
Das war in Bochum. Als Facharzt für Chirurgie wollte ich die Zusatzweiterbildung für Unfallchirurgie machen. Dort im Ruhrpott habe ich dann auch gleich die Wirbelsäulenchirurgie gelernt, das war damals neu und erst im Aufbau, weil Wirbelsäulen meist konservativ behandelt wurden. Aber einige wenige haben sich auch getraut, zu operieren. Als ich dort später dann in die Unfallchirurgie ging, wollte ich dort gleich bleiben. Mein Chef kam dann mit der Ansage: Sie können hier alles werden, nur nicht Chef. So ist es dann auch gekommen, ich war leitender Oberarzt, wollte aber auch den nächsten Schritt gehen.

Dann kam Bremen ins Spiel.
Genau. Das Klinikum Bremen-Mitte – damals hieß es ja noch Zentralkrankenhaus St. Jürgen-Straße – suchte einen Chefarzt für die Unfallchirurgie. Damals musste man sich ja noch bei der Gesundheitsdeputation vorstellen. Und als da dann gefragt wurde, warum ich denn nach Bremen wolle, habe ich nur gesagt: Guckt doch mal auf die Stadtmusikanten, wer sitzt denn da ganz oben? Also kann ja nur der Hahn Chef werden in der Unfallchirurgie. Haben sie mir sofort zugestimmt. War ja auch ein überzeugendes Argument (lacht).

Was hat Sie an Bremen gereizt?
Das Motto war damals Aufbruch in die Zukunft. Es liefen die Neubau-Maßnahmen für den ZOP, der war schon konzipiert. Das war für mich auch ein Argument zu kommen. Da hatte man was vor. Da wollte ich hin. Am 1. September 1999 war es dann soweit.

Und in den folgenden Jahren sollte die Unfallchirurgie unter Ihrer Leitung überregional bekannt werden.
Ich habe versucht, die Klinik entsprechend zu entwickeln, von einer guten zu einer exzellenten. Was uns auch gelungen ist. Als zum Beispiel die ersten Diskussionen aufkamen, dass künftig Traumazentren zertifiziert und in verschiedene Katergorien eingeteilt werden sollen und auch in Netzwerken zusammenarbeiten sollen, waren wir die ersten, die da mitgemacht haben. Wir haben sehr schnell die Qualifikation für das überregionale Traumazentrum bekommen und sind gewissermaßen zum Maximalversorger für Schwerstverletzte aufgestiegen. Wir haben da bis heute bremenweit die höchste Kompetenz für die Versorgung schwerster Verletzungen – übrigens auch was Arbeitsunfälle betrifft. Wir hatten damals dann auch gleich das Traumanetzwerk mit den beteiligten Kliniken gegründet. Da war ich von Beginn an Sprecher, mein Nachfolger Dr. Knut Müller-Stahl macht da nun nahtlos weiter, er hat das Amt übernommen.

Damals war die Klinik nur eine Unfallchirurgie. Wann kam die Orthopädie dazu?
Da spielte mein Oberarzt Dr. Jan Thies eine wichtige Rolle, den hatte ich ein halbes Jahr nach meinen Start in Bremen dazu geholt. Wir haben das Endoprothetik-Zentrum für alle Arten von orthopädischen Eingriffen aufgebaut. Davor gab es in dieser Klinik kaum elektive Eingriffe. Mit dem Endoprothetik-Zentrum und der Orthopädie wurde das schnell anders. Wir hatten einen super Start.

Wie kam’s?
Ich war Mitentwickler für ein neues Kniegelenk, das nicht mehr starr sondern flexibel war. BPK-S hießt das. Das ist heute Standardtherapie. Aber damals war das der Fortschritt in diesem Bereich. Zum Start des Endoprothetik-Zentrums hatten wir damals eine Veranstaltung zum Thema Arthrose gemacht und in den Bremer Flughafen eingeladen. Die Leute haben uns die Bude eingerannt. Es waren damals zwischen 500 und 1000 Menschen da. Das war der Wahnsinn. Das war ein sehr guter Start. Und damit waren wir am Markt.

Wie haben sich die chirurgischen Möglichkeiten entwickelt in all den Jahren?
Wir können heute längst viel genauer auf die Patienten und ihre Verletzungen eingehen und viel schonender operieren. Es gibt heute zum Beispiel längst moderne Plattensysteme, die vorab individuell angepasst werden können. Auch gerade bei älteren Menschen, die vielleicht unter Osteoporose leiden oder instabile Knochen haben, können wir die Knochen viel besser stabilisieren. Hier haben wir übrigens eine perfekte Zusammenarbeit im Alterstraumatologischen Zentrum mit Dr. Thomas Hilmer und der Geriatrie im Klinikum Bremen-Ost.

Sie haben viele schwerste Unfallverletzungen miterlebt.
Wie schwer fällt es einem eigentlich, diese schweren Schicksale im OP nicht zu sehr an sich heran zu lassen? Im OP-Saal muss man die Emotionalität ausblenden. Der Fokus liegt allein darauf: Wenn wir das jetzt schaffen, dann haben wir den Patienten gerettet. Und wir haben viele Patienten in all den Jahren vor dem sicheren Tod bewahrt; sehr oft in Zusammenarbeit mit den Kollegen aus der Allgemeinchirurgie. Diese Erfolge im OP motivieren. Denn wir sehen jeden Tag: Mit dem, was wir tun, können wir den Menschen richtig weiterhelfen. Wenn wir mitbekommen, wie ein Schwerstverletzter später wieder integriert werden kann, in den Alltag, ist das das beste Gefühl. Mit vielen Patienten sind wir heute noch im Kontakt, einige melden sich regelmäßig zu Weihnachten oder dem Jahreswechsel. Eine Frau aus Kanada ruft noch heute regelmäßig an. Die Dankbarkeit ist oft sehr groß.

Schweißt so etwas als Team zusammen?
ch glaube wir Unfallchirurgen verstehen uns hier immer schon als große Familie. Ohne das Team und die vielen Berufsgruppen geht im Krankenhaus sowieso nichts. In den 23 Jahren habe ich viele Kollegen ausgebildet, viele sind Oberärzte geworden, viele in leitenden Positionen; wie jetzt Dr. Knut Müller-Stahl, der mein Nachfolger ist, oder Dr. Richard Delebinski, der Chefarzt im Klinikum Bremen-Nord ist. Das macht Spaß, wenn man Werdegänge miterlebt und weiter zusammenarbeitet. Die Verbundenheit mit dem KBM ist groß, zu unserem jährlichen Sommerfest kommen immer auch viele Ehemalige zum Klönen und Feiern zurück.

Wer auch immer wieder gekommen ist, waren die Werder-Spieler, wenn es nebenan im Weserstadion eine schwere Verletzung gab.
Ja, für alle schweren Verletzungen stehen wir auch heute noch zur Verfügung. In all den Jahren waren auch viele Nationalspieler hier. Besonders ist mir aber auch der Achillessehnenriss von Fin Bartels im Gedächtnis geblieben. Oder Max Kruse mit seinem Schlüsselbeinbruch. Der hat nach vier Wochen schon wieder gespielt, der war nicht zu bremsen, auch wenn zwei Wochen mehr Ruhe auch noch gut getan hätten. Bis heute kommen die Werderaner, auch wenn die Primärbetreuung aktuell ja durch die Paracelsus-Klinik geschieht. Eine Zeit lang hatten wir mit Dr. Philipp Heitmann, der damals Oberarzt bei uns war, aber auch den Werder-Arzt gestellt.

Sportverletzungen spielen auch im Hobbybereich eine große Rolle. Mit was für Verletzungen kommen die Leute heute vor allem?
Das sind klassischerweise Brüche oder Bänderverletzungen. Was uns mittlerweile auffällt, ist, dass wir immer mehr Verletzungen durch E-Bike-Unfälle registrieren. Oft sind die Leute mit der Geschwindigkeit überfordert, können es nicht kontrollieren. Es macht einen Unterschied, ob man mit 15 oder 25 km/h unterwegs ist. Deshalb mein dringender Appell: Auf jeden Fall einen Helm tragen. Das ist ein Muss. Schwere Kopfverletzungen sehen wir immer wieder und das ist hochgefährlich.

Herr Prof. Hahn, können Sie nach so vielen Jahren einfach so ohne die Chirurgie auskommen? Was sind Ihre Pläne?
Für mich beginnt ein ganz neuer Lebensabschnitt. Und den möchte ich in vollen Zügen genießen. Endlich werde ich auch mehr Zeit haben für meine Frau, die ja als Oberärztin in der Kinderanästhesie weiter im KBM erfolgreich tätig ist, und für meine beiden jungen Söhne, die mich in Freizeit und Schule fordern wollen (lacht). Ich werde auch viel Golf spielen, auch mal an meinem Oldtimer – einem Mercedes 300 SL Baujahr 1985 – herumschrauben. Und dann fahre ich – ja: obwohl ich Unfallchirurg bin – auch Motorrad. Eine Harley-Davidson Road King. Ich freue mich, mir den Tag künftig so einteilen zu können, wie ich das möchte. Das ist etwas, das ja viele Jahre nicht einfach so ging. Und ein wenig werde ich natürlich auch bei meinem Fach bleiben und medizinische Gutachten erstellen.

Das Gespräch führte Timo Sczuplinski

 

Prof. Dr. Michael Paul Hahn ist in Aurich groß geworden. Nach seinem Medizin-Studium kam er über Hannover und Bochum 1999 zurück in den Norden. Das Klinikum Bremen-Mitte machte er zum Überregionalen Traumazentrum, baute mit seinem Team das Endoprothetik-Zentrum und war seit 2015 auch für die Unfallchirurgie im Klinikum Bremen-Ost verantwortlich.

Ein bunter Rückblick in Bildern auf die letzten 23 Jahre

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