Gesundheit Nord Klinikverbund Bremen

Seltene Erkrankungen (2): Wenn das Immunsystem gegen das Hirn arbeitet

Gesundheit

SREAT ist das Kürzel für eine extrem seltene Autoimmunkrankheit. Was mit körperlichen Beschwerden anfängt, kann auch zu wahnhaftem Verhalten führen

Als die Patientin vor einigen Wochen das Krankenhaus betrat, hatte sie noch keine Idee davon, dass sie an einer seltenen Erkrankung leiden würde. Sie kam mit extrem starken Kopfschmerzen in die Klinik, die bereits seit zwei Tagen partout nicht mehr weggingen. Eine Nervenwasser-Untersuchung in der Neurologie des Klinikums Bremen-Nord ergab auffällige Werte. „Normalerweise ist das Nervenwasser klar, finden sich erhöhte Entzündungszellen (weiße Blutkörperchen) im Nervenwasser, deutet das auf eine Entzündung im Hirn hin“, sagt Neurologie-Chefarzt Dr. Matthias von Mering. Es folgten weitere Untersuchungen, die Nacht brachte dann eine weitere Erkenntnis.

Denn die Patientin war nicht mehr bei sich selbst, sie verfiel in eine Art wahnhaftes Verhalten, obwohl sie psychisch bisher völlig gesund war. Ein solches hirnorganisches Psychosyndrom – kurz: HOPS – kann als Folge einer körperlichen Erkrankung auftreten, die sich im Hirn abspielt oder gegen das Hirn richtet. Im Beispiel des Patienten war es letzteres. Die Diagnose des Neurologie-Teams: Die Patientin litt an einer Hashimoto-Enzephalopathie, genauer: einer sogenannten Steroidresponsiven Enzephalopathie bei Autoimmunthyroditis – kurz: SREAT.

Den Namen Hashimoto kennt man eigentlich von einer chronischen Schilddrüsenerkrankung, einer der häufigsten Autoimmunerkrankungen überhaupt. Das eigene Immunsystem arbeitet dabei gegen den Körper, die Schilddrüse produziert weniger Hormone, die Symptome sind unterschiedlich - Müdigkeit, geschwollene Schilddrüse, niedriger Pulsschlag, Gewichtszunahme, Antriebslosigkeit. „In diesem Fall aber arbeiteten schilddrüsenspezifische Antikörper durch eine seltene Kreuzreaktion sogar gegen das Hirn“, sagt Dr. Matthias von Mering. Daher auch die starken Kopfschmerzen, und später das wahnhafte Verhalten.

"Das setzt eine gewisse Detektivarbeit voraus"

„Es ist eine extrem seltene Erkrankung, die statistisch nur bei zwei von 100.000 Personen auftritt“, sagt von Mering. Es sei aber auch nicht gerade einfach, die Erkrankung sofort zu erkennen. Erst durch eine ausführliche Diagnostik komme man der Krankheit auf die Spur. „Das setzt schon eine gewisse Detektivarbeit voraus“, sagt von Mering. Gut möglich, dass die Dunkelziffer also tatsächlich – weil oft unerkannt – sogar etwas höher ist.

Zurück zu dem besonderen Fall im Klinikum Bremen-Nord: Die Patientin bekam in der Folge eine Coritsontherapie und Immunglobuline, die die überschießende Reaktion des Immunsystems abschwächen konnte. Zudem kam Methotrexat (MTX) zum Einsatz, ein Rheumamedikament, das zum Gegensteuern bei chronisch-entzündlichen Erkrankungen eingesetzt wird. „Die Prognose bei SREAT ist gut, bei 75 bis 90 Prozent geht die Krankheit komplett zurück“, so von Mering. Es gebe auch Fälle, bei denen die Krankheit eine gewisse Zeit noch schubweise in Erscheinung tritt. Wenn man aber um die Krankheit weiß, könne man die Symptome mit einer entsprechenden Therapie gut in den Griff bekommen.

 

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5 von 10.000 Menschen

Wenn von 10.000 Menschen nicht mehr als fünf Personen von einer Erkrankung betroffen gilt sie als selten. Insgesamt gibt es 6.000 verschiedene seltene Erkrankungen quer durch alle Fachbereiche. In unserer neuen Serie „Der seltene Fall“ erklären Ärztinnen und Ärzte des Klinikverbunds einige von ihnen.

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