Die Königin der Seifenblasen
Ein Stückchen Seife lag auf dem Rand eines Waschbeckens in einem Badezimmer einer schönen Wohnung mitten in der Großstadt. Es war noch glitschig, weil sich Paul gerade ordentlich die Hände gewaschen hatte. Händewaschen, so sagen alle, ist das wichtigste Mittel, um sich vor der Ansteckungen mit dem gefährlichen Coronavirus zu schützen. Aber wie funktioniert das, fragte sich eine kleine Seifenblase, die auf dem Stück Seife verweilte? Sie fragte alle übrigen Seifenbläschen, aber keines konnte ihr so richtig antworten – bis auf eine, die letzte und größte, die sie fragte. „Weißt du es, Seifenblasenkönigin?
Du musst das wissen, du bist doch die Klügste auf unserem Seitenstück!“ Und die Seifenblasenkönigin berichtete: „Corona ist sehr gefährlich. Ein Virus, der die Gesundheit eines jeden Menschen angreifen konnte.“ Der Virus setzte sich überall drauf: auf Türklinken, Geländer, Tische, Bänke, Bücher, Teller, Gläser – auf alles, was Menschen anfassen. Es war auch auf Händen, Gesichtern und überall dort, wo er schwebend hingelangen und sich absetzen konnte. Und wenn es in den Körper eines Menschen gelangen konnte, verursachte es dort oft große gesundheitliche Schäden. „Wir müssen was tun!“, sagte sie. Die Seifenblasenkönigin wollte aktiv werden, sie war ja nicht umsonst Seifenblasenkönigin geworden. Sie hatte Mut und war kräftig, lange nachdem sie durch Wasser, Seife und Hände erzeugt worden war, saß sie noch fest auf dem Seifenstück – länger als viele anderen Seifenbläschen.
Sie hatte auch schon eine Idee: Sie hatte gehört, dass das Virus Angst vor Seife hat. Und dass es sich nicht irgendwo wo
raufsetzen konnte, wo gerade mit Seife gereinigt worden war, denn wenn es mit Seife in Berührung kam, dann platze es – ganz einfach. Sie hatte auch gehört, dass Händewaschen absolut tödlich für das Virus war, je länger
desto besser. Diese Information verwandelte die clevere Seifenblasenkönigin, die nicht zu Unrecht diesen
Namen trug, in einen großen Plan. Sie wollte erreichen, dass alle Flächen, die von Menschen berührt werden konnten, mit
winzig kleinen Seifenbläschen besetzt werden. Die Frage war nur, wie? Sie brauchte Hilfe, Verbündete, die bereit waren, diese Idee nicht nur zu unterstützen, sondern auch zu realisieren. Sich zusammentun macht eben stärker.
Sie fragte das Feuer in der Gastherme neben dem Waschbecken. Aber das Feuer konnte nicht behilflich sein. Es saß fest in dem Gehäuse der Therme – zum Glück. „Ich kann sehr gefährlich werden, wenn ich mein Thermenzuhause verlasse! Frag lieber mal deine Freundin, das Wasser.“ „Natürlich“, dachte die Seifenblasenkönigin. Das Wasser. Das trifft sie schließlich mehrmals am Tag. Das Wasser sagte natürlich sofort zu, es ist meistens für große Aktionen zu haben. „Wie kann ich dir denn helfen?,“ fragte es. „Es nützt doch nichts, wenn ich dich nur nass mache!“ „Warte erstmal ab“, antwortete die Seifenblasenkönigin. „Ich werde noch ein bisschen weiterfragen, den Wind nämlich, und die Kinder, die sich gern die Hände waschen!“ Der Wind sagte natürlich sofort seine Hilfe zu, er war gerade durch das offene Fenster zu
Besuch gekommen.
„Jetzt fehlen noch die Kinderhände!“, merkte er an. Das wusste die Königin auch selbst, sie wartete ja schon auf Pauls nächsten Besuch. Als er vor dem Mittagessen zum Händewaschen ins Badezimmer kam, schwebte sie an sein Ohr und verriet ihm den Plan. Die ganze Stadt soll in schimmernde Seifenblasen gekleidet sein und alle Kinder müssen mithelfen. Nur so kann das Virusmonster vertrieben werden.
„Kein Problem“, rief Paul. „Natürlich helfe ich mit. Ich sage allen Bescheid, denn zusammen sind wir noch stärker.“ „Jede Seifenblase zählt!“, rief die Seifenblasenkönigin. „Nun müssen wir nur noch alles gut organisieren.“ Alle Vier hockten nun zusammen und berieten sich. Es sollte eine sehr große Aktion werden: Alle Flächen, die je von Menschen berührt werden konnten, sollten eingeseift werden. Es gab einige Aufgaben zu verteilen.
Viele Millionen Seifenbläschen sollten erzeugt und nach draußen getragen werden, um sich zu verteilen und sich überall dort niederzulassen, wo die Menschen mit dem Virus in Kontakt kommen könnten. Wer was übernimmt, war klar. Und nur Hand in Hand kann es funktionieren, denn so viele Seifenblasen zu erzeugen, war natürlich kein einfaches Unterfangen.
Nach kurzer Zeit verkündete die Seifenblasenkönigin den magischen Plan: Alle Seifenstückchen in allen Badezimmern sollten zur gleichen Zeit in die Waschbecken rutschen und alle Wasserhähne der Waschbecken mussten sich gleichzeitig öffnen. Und wie? Ganz klar, mit der Hilfe der Kinder, die in den Wohnungen mit den betroffenen Badezimmer wohnten. Die würden dann so fleißig ihre Hände waschen, dass ganz viel Schaum und Blasen entstehen. Dann sollte der Wind den Rest erledigen. „Alle sind bereit!“, rief Paul, der in der Zwischenzeit allen Kindern in der Stadt bescheid gesagt hatte. Und zu exakt der gleichen Zeit wuschen sich alle Kinder die Hände, dass es nur so schäumte. Manche von ihnen ließen sogar gleich zwei oder drei Seifenstücke verschwinden!
So etwas erlebt man nicht alle Tage. Sie erzeugten so viel Seifenschaum, dass er sich in manchen Badezimmern schon staute.
Jetzt war der Wind an der Reihe: Er blies kräftig in die Wohnungen und Seifenschaum und Seifenblasen wurden durch die Badezimmerfenster, Abluftschächte und Badbelüftungen, sogar durch Schornsteine, Wohnzimmerfenster und Mauerspalten nach draußen getragen. Überall aus den Häusern sah man Seifenbläschen zu tausenden herausfliegen. Es bildeten sich dichte Seifenwolken und die Seifenblasenkönigin schob sie überall hin: Auf Plätze, in Häuser und Parks, auf Spielplätze, in Stadien, Theater, Treppenhäuser, Kaufhäuser, Straßenbahnen, Busse – überallhin, wo Menschen etwas anfassen können. Geländer, Bänke, Fahrräder und tausend andere Dinge!
Wenn sich die Seifenbläschen absetzten, gaben sie dem Virus keine Chance, sich an der gleichen Stelle auch niederzulassen. Und versuchte das Virus es trotzdem, konnte man ein leises Ploppen hören. „Plopp!“, schon wieder war ein Virus geplatzt. In der ganzen Stadt konnte man es hören, wenn man ganz leise war. Das freute die Seifenblasenkönigin, denn es bewies, die Aktion war ein Erfolg und der Virus hatte in der Stadt keinen Platz mehr. Bevor die Erwachsenen bemerkten, was in ihren Badezimmern und auf den Straßen passierte, waren die Seifen erst mal verbraucht und die Wasserhähne von den Kindern wieder abgestellt. Die riesigen Wolke von Seifenbläschen hatten geholfen, den Virus abzubremsen und viele Kinder und Erwachsenen vor Ansteckung zu bewahren. Was für ein Glück! Die Seifenblasenkönigin hatte viel zu tun gehabt und war sehr froh über die Hilfe von Paul, all den anderen Kindern, vom Wind und vom Wasser, und als sie sich am Ende des Tages
selber auf einem Geländer zur Ruhe setzte, wusste sie, der Virus wurde an diesem Tag gut abgewehrt. „Und wenn die Kinder sich weiter so fleißig und schaumig die Hände waschen“, dachte sie noch zufrieden, „dann hat das miese Virus wirklich keine Chance mehr.“
Ortwin Fritsche